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  • AutorenbildChristian Langer

In der Jurte pfeifen und Ziegen scheren - 7 Tage in der Mongolei (Teil 2)


Der Morgen in einer Jurte ist Nichts, an das ich mich gewöhnen könnte: Während man noch bei gefühlten 50 Grad Celsius verschwitzt eingeschlafen ist, fällt die Temperatur nachts auf bis zu -15 Grad. Völlig verfroren verlasse ich also das Zelt, um mir eine Morgenzigarette zu gönnen. Draußen ist es wärmer.


Beim Gang zur Toilette (logischerweise ein Plumpsklo) bietet sich mir das selbe atemberaubende Panorama wie am Vortag. Kamele laufen frei durch die Gegend, dahinter riesige Sanddünen, dahinter schneebedeckte Berge.



Kamele wälzen sich überaus gerne in Asche und dazu gibt es auch eine nette mongolische Sage: Buddha war auf der Suche nach zwölf Tieren für die Kalendermonate, elf hatte er bereits ausgesucht. Die Entscheidung sollte zwischen dem Kamel und der Maus gefällt werden. Er sagte ihnen, das Derjenige, der als Erster die Sonne aufgehen sieht, gewinnt. Das Kamel rannte nach Westen, die Maus nach Osten, weshalb sie gewann. Das Kamel war so erbost darüber, dass es die Maus jagte. Sie konnte sich retten, indem sie sich in einem Aschehaufen verkroch. Das Kamel rollte sich über den Haufen, konnte die Maus aber nicht erwischen. Noch heute ist es beim Rollen auf der Asche auf der Suche nach der verhassten Maus. Sagt der Volksmund.


Nach dem Frühstück zogen wir, unser Guide Undraa, Hilfs-Guide Bayanaa und Fahrer Bataa, weiter. Wir fuhren und fuhren und fuhren bis wir schließlich Halt bei einer einsamen Jurte machten. Bayanaa war früher selbst Nomade, seine Eltern sind es immer noch. Und bei eben diesen waren wir zum Mittagessen eingeladen. Es gab Schafsfleisch, Kartoffeln, Kohl und Brot. Und jede Menge mongolischen Wodka. Der Wodka schmeckt besser als das Schaf, jedoch esse ich brav auf, denn Nomaden empfinden es als ungeheure Beleidigung, einen halbvollen Teller zurückzulassen. Schließlich soll das Tier nicht umsonst gestorben sein. Gute Einstellung eigentlich.


Bayanaa, seine Mutter, Ich und seine Schwester

Nach weiteren Stunden des Heizens über ungeteerte Straßen durch die Wüste, standen wir auf einmal in einer kleinen Stadt, beziehungsweise nach deutschem Verständnis einem Dorf. Zum ersten Mal seit drei Tagen konnten wir dort den Luxus des Waschens in Anspruch nehmen. Dort stand nämlich eine öffentliche Dusche, welche extra für Nomaden errichtet wurde.


Wohlriechend und erfrischt erreichten wir ein kleines Tal, in welchem durch Zufall bei Dreharbeiten von einem amerikanischen Filmteam Dinosaurier-Fossilien gefunden wurden. Es waren auch Amerikaner, die später die Ausgrabungsarbeiten durchführen und die Knochen mit nach Hause nehmen durften. Die mongolische Regierung, so erfahren wir, vergibt gern lukrative Ressourcen an ausländische Unternehmen, sehr zum Unverständnis der eigenen Bevölkerung. Auch die zahlreichen Gold- und Kohlevorkommen werden überwiegend von chinesischen Firmen zu Tage gebracht. Unter anderem deshalb sind die Einwohner des Reich der Mitte in der Mongolei nicht sonderlich beliebt.



Die Felsformation erinnert stark an den Grand Canyon, allerdings in einem Modellbau-Maßstab. Roter Stein, durchzogen mit Kalk und Sand. Trotz aller Mühen konnten wir leider keine Fossilien finden und ziehen (gefühlt) unverrichteter Dinge ab.


Da Bataa leider immer nur die selben zehn Songs laufen lässt, ein Mix aus Metal-Balladen und einem mongolischen Kindersänger, sind wir inzwischen sehr von der Musik genervt. Auch Undraa kann nur mit "Wannabe" von den Spice Girls punkten. Wir beschließen, unseren mongolischen Freunden, bayerische Musikkultur näher zu bringen. "Es ist noch Brotzeit da", "Drunt über da greana Au" und zahlreiche Landler stoßen jedoch nicht auf große Gegenliebe.


Macht aber nichts, denn wir haben unser Nachtlager erreicht. Leider hat die ursprünglich geplante Location nicht geklappt, weshalb wir in einem Dorf in der Jurte einer Familie schlafen. Die Familie schläft bei den Nachbarn. Diesmal haben Hansi und ich das Ger aber nicht für uns allein, sondern müssen es mit Undraa, Bayanaa und Bataa teilen.




Bevor wir uns jedoch alle auf den Boden legen, trinken wir. Und wir lernen ein beliebtes mongolisches Kartenspiel, das wir auf dem Markt in Ulanbaataar sehr oft beobachten konnten. Bataa und Undraa sind erfahrene Zocker aber wir schlagen uns wacker. Je länger der Abend dauert, desto mehr wird getrunken und die letzte Zigarette bringt auch die ungeliebte "Frischluft-Fotzn" mit sich. Betrunken kann ich sogar auf dem brettharten Boden schlafen.


Den nächsten Morgen und Vormittag verbringe ich damit, meinen Mageninhalt nicht durch die ruckelige Fahrt nach Oben befördern zu lassen. Es bringt Pech in der Jurte zu pfeifen, dieser Versuchung konnte ich jedoch im Rausch nicht widerstehen. Meine Übelkeit ist wohl die Rache dafür. Allerdings halte ich mich tapfer.


Wir erreichen unseren letzten Stopp auf der Tour, natürlich eine weitere Familie. Sie haben sich jedoch auch ein Haus errichtet, nur Johannes und ich sind wieder in der Jurte untergebracht.




Zur Begrüßung wird uns erneut ein salziger Tee mit Milch gereicht und die selben brettharten Kekse serviert. Auf dem Tisch steht ein nach Küchenresten aussehender Eimer mit Fleischinhalt: Ein pechschwarzer Schafskopf.


Zu unserem Entsetzen schneidet sich Bataa ein Stück, der nur auf Grund seiner Form als Fleisch zu identifizierenden Masse, ab und kaut sie genüsslich. Erst ein Teil des Hinterkopf, dann das Ohr. Auf unsere ungläubigen Blicke reagiert er, indem er uns auch etwas anbietet. Auf Grund meines ohnehin schon vom Alkohol geschädigten Magens lehne ich dankend ab, Hansi probiert. Ein Stück schwarzes Fleisch, das von einer gelben Schicht, vielleicht altes Fett, vielleicht Rückenmark, durchzogen ist, nimmt dem Weg vom Eimer in seinen Mund. Ich sehe wie er mit einem Höflichkeitslächeln zu vertuschen versucht, dass er es nicht kauen kann. Der Geschmack ist undefinierbar und nur mit einer Menge Überwindung kann er das Stück herunterschlucken. Ich freue mich insgeheim, dass mein Rausch mir den Konsum der lokalen Spezialität erspart hat.


So wird Kaschmir-Wolle gewonnen.

Im Stall hinter dem Haus nehmen die drei Angestellten gerade jeweils eine wild strampelnde Ziege unter den Arm. Diese werden an den Beinen und den Hörnern am Boden festgezurrt und mit kleinen Metallrechen ihres Winterfells entledigt. Wir sollen helfen.


Ich probiere, breche jedoch nach kurzer Zeit ab. Man muss fest zerren und reissen, um die Wolle abzubekommen. Ich habe das Gefühl, die Ziege bei jedem Zug zu verletzen. Sie schreit auf, und dabei bin ich noch deutlich netter im Umgang als die Angestellten. Diese reissen und zerren bis auch der letzte Rest Wolle von der Ziege ist. Die Prozedur mit den Rechen ist deshalb notwenig, da das Sommerfell nicht so wertvoll ist und nur das Wintederfell runter soll. Ich bringe es nicht über's Herz weiterzumachen. Es ist mir zu brutal. Wohlstands-Weichei, denke ich mir. Aber andererseits habe ich auch nicht 300 € dafür bezahlt, Ziegen zu scheren.


Für die Wolle der Kaschmir-Ziegen gibt es gutes Geld. Ein Schaf liefert knapp 500-700 Gramm Wolle, das Kilo bringt knapp 40 €. Eigentlich wird die Prozedur erst Ende Mai durchgeführt, jedoch reicht der Familie das Geld bis dahin nicht mehr.

Wenn eine Ziege fertig ist, wird es markiert und brachial zurück ins Gehege geworfen. Ja, richtig gelesen. Geworfen. Der Hirte ist mein Herr, nicht andersrum.


Abends bekommen wir ein, im Vergleich zu den Vortagen, feierliches Festmahl serviert. Undraa und einer der Arbeiter, der Ziegenwerfer, erklären uns im Anschluss einige Spiele. Sie haben alle eines gemeinsam. Man spielt mit angemalten Kniegelenksknochen von Ziegen.


Diese Spiele kennt jedes Nomadenkind. "Wir hatten nichts anderes", erklärt Undraa, die zumindest die Sommer bei ihren Nomaden-Großeltern verbrachte.

Je nachdem welche Seite des Knochens nach oben steht, ändert sich die Bedeutung. Es gibt vier mögliche Positionen. Sie heißen wie die gebräuchlisten Nomadentiere: Kamel, Pferd, Schaf und Ziege. So vertreiben wir uns die Zeit mit Knochenspielen bevor wir uns in die Jurte zurückziehen.

Während wir unsere Koffer packen, kommt der Angestellte, welcher anscheinend in unserem Alter ist, vorbei. Er entdeckt unseren als Gastgeschenk mitgebrachten Schnupftabak und probiert sich durch die verschiedenen Packungen.


Schnupftabak hat in der Mongolei Tradition: Beim Besuch von Freunden werden kleine Stein-Fläschchen getauscht. Kurz darauf kommt unser Überraschungsbesuch mit einem anderen jungen Angestellten zurück. Er bietet uns seinerseits Schnupftabak an und freut sich über die Gletscherprise.


Nachdem sie die in ihren Augen merkwürdig aussehenden Schafkopfkarten entdecken, beschließen Hansi und ich, ihnen "Neunerln" (dem Nicht-Bayer auch als Mau-Mau bekannt) beizubringen. Eine lustige Runde entsteht, die leider viel zu schnell wieder endet.


Nach der letzten Jurten-Nacht kehren wir endlich wieder auf eine Teerstraße zurück. Nur wenige Kilometer vor Ulan-Bator endet der Trip jedoch unglücklich abrupt. Bataa achtet nicht auf die Straße und wir fahren mit über 80 km/h gegen einen hohen Randstein. Der Aufprall kommt überraschend und setzt meinem Nacken und Jojos Rücken zu. Schlimmer ist jedoch, dass beide Reifen und Felgen auf der rechten Wagenseite völlig hinüber sind.



Mit dem Auto eines Freundes fährt uns Bataa zum Hostel, seine Woche ist allerdings ruiniert. Alles soeben verdiente Geld muss er in neue Reife investierten. Wir geben ihm ein überaus ordentliches Trinkgeld, bestehend aus unseren letzten Barreserven.


Duschen, westliche Toiletten: Wir genießen die Vorzüge des Stadtlebens im Hostel. Wenige Stunden später geht jedoch schon unser Zug zur chinesischen Grenze.


Da man in der Mongolei quasi überall raucht, denken wir uns nichts, als wir mit Zigarette im Mund den Bahnsteig betreten. Ein Mongole in Militäruniform lässt uns jedoch schnell merken, dass wir dies nicht dürfen. Wir entschuldigen uns mit dem Hinweis, kein Schild gesehen zu haben. Er will jedoch unsere Pässe sehen. Ebenso ein dazu gestoßener Polizist.


Dieser steckt unsere Pässe ein und sagt, wir sollen in den Zug steigen. Ohne unsere Pässe wollen wir dies natürlich nicht und fragen ihn wieso, worauf er nicht antwortet. Auf die Frage, ob ich mir seinen Namen und die Dienstnummer notieren kann wird er wütend. Wir folgen ihm in die Bahnhofs-Polizeistation und er zeigt uns ein Vorschriften Buch, das aussagt, dass wir jeweils 50.000 Tugruk zahlen müssen. Genervt gehe ich zum Bankautomaten.


Ich bin mir sicher, dass er bestochen werden will. Allerdings nimmt er das Geld nicht an und weist uns an, sofort in den Zug zu steigen. Er würde gleich kommen.


Mit einem unguten Gefühl im Magen warten wir in unserem Abteil, diesmal sogar ein Vierer-Abteil. Nach knapp einer Stunde steht er in der Tür und händigt uns die Reisepässe ohne das Verhängen einer Strafe aus. "I give you a chance. No fine. Welcome to Mongolia." "Na Servus", denke ich, "gerade nochmal gut gegangen."


Der Zug ist deutlich angenehmer, obwohl älter, als sein russisches Pedant. Allerdings ist mir schwindelig. Richtig schwindelig. Mein Nacken hat sich durch den Aufprall völlig versteift. Ich kann trotzdem irgendwie einschlafen, aber bin völlig erschöpft von den Strapazen der letzten Tage.



Nach einer wilden Jeepfahrt über die Grenze am nächsten Morgen und sehr langen Warteschlangen haben wir es jedoch geschafft. Wir stehen auf chinesischem Staatsgebiet.


Eine Woche Mongolei liegt hinter uns: Wild, ungemütlich, unhygienisch und doch wunderschön. Eine Erfahrung wie diese macht man nicht allzu oft. Servus Mongolei, vieles wird mir fehlen. Ziege nicht.




 

Nachtrag: Ich hatte leider einige Mal statt Ziege "Schafe" geschrieben. Das passiert, wenn man im Nachtflug von Peking nach Kunming schreibt. Sorry.

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