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  • AutorenbildChristian Langer

New York, Schmelztiegel im Regen


Christian Langer in Lederhosen auf Weltreise. Foto: In Lederhosen um die Welt

Es gibt das alte Vorurteil, alle New Yorker wären unfreundlich. Das kann ich absolut nicht bestätigen. Zum einen ist New York als Stadt zu individuell, um alle New Yorker über einen Kamm zu scheren. Leute aus der ganzen Welt versammeln sich hier, um sich schonungslos dem Kapitalismus und/oder der Kunst und/oder einem Leben auf der Straße auszuliefern. Juden, Italiener, Chinesen, Holländer, Engländer und Deutsche haben die Stadt geprägt. Ein Schmelztiegel eben.


Zum anderen war jeder, den ich getroffen habe, nett. Sei es der Schallplatten-Verkäufer vor dem U-Bahn Eingang Queens Plaza, der Hot Dog Mann im Battery Park, der Koch in Katz Delikatessen oder der Security-Mann auf der Wall Street. Alle waren freundlich. Naja bis auf die zahlreichen Verrückten in den U-Bahnen. Am nettesten haben jedoch die beiden Mid-Vierziger im Taco Bell am Broadway auf mich, den mit der Nagelschere rasierten Touristen in Lederhosen, reagiert. Nachts um halb 2 stolpere ich nach dem Besuch eines Comedy Clubs in das Fast Food-Restaurant und frage die Beiden, welche in der Schlange vor mir stehen, was denn der Bestell-Klassiker sei. "It's your first time in a Taco Bell? Oh my god, that's so amazing", schallt es mir in typisch nordamerikanischer Freundlichkeit, die immer ein wenig zu sehr aufgesetzt wirkt, entgegen. Sie empfehlen mir Etwas, von dem ich weder den Namen noch die Zutaten aus dem Gedächtnis rufen kann, und bevor ich an die Reihe komme, haben sie es mir bereits gekauft. Ich bin fassungslos über diese kleine, aber wunderschöne Geste der Gastfreundlichkeit, worauf sie nur entgegen: "Sieh es als Entschädigung für alle Verrückten, die du bisher in der U-Bahn getroffen hast".


New York ist genauso, wie man es sich vorstellt: Groß, laut, hektisch und aufdringlich empfängt einen die Weltstadt. Ich war bereits mit acht Jahren hier und freue mich schon, nun meine Eindrücke als Erwachsener zu sammeln. Doch bevor ich zum ersten Mal (als Nicht-Minderjähriger) Fuß auf den Boden Manhattans setzen kann, bringen mich die U-Bahn und der Airport Express vom JFK Flughafen zu meinem Hostel in Queens. Die völlig überteuerte Unterkunft, die immer noch das günstigste ist, das ich finden konnte, ohne auf dem Boden schlafen zu müssen, ist nur von außen ansehnlich. Innen sieht es nicht sonderlich sauber aus und die gelangweilte Angestellte teilt mir mit, dass ich erst nachmittags einchecken kann, Gepäck lagern kostet extra. Naja, besser als die mittlerweile 27 Kilo Gepäck zu schleppen.


Ich fahre in die Stadt und lande direkt auf dem Broadway, gönne mir dort ein Stück Pizza für einen Dollar und laufe die Straße hinab. Mein erster Eindruck erfüllt meine Vorstellungen perfekt: Hochhäuser, Hot-Dog-Stände und bunte Werbereklamen. Es riecht nach Großstadt, diese bestimmte Mischung aus Abgasen, Kanaldämpfen und den exotischen Düften, die aus den geöffneten Fenstern kleiner Restaurants strömen. Es fängt an zu tröpfeln, weshalb ich mich unter einen Vordach unterstelle. Über mir thront ein Schriftzug, der bewirbt, dass hier heute die Late Show mit Stephen Colbert aufgezeichnet wird. Ich laufe weiter, als mich ein kleiner, leicht untersetzter, schwarzer Mann anspricht. Er bewirbt die Shows im Broadway Comedy Club und möchte mir ein Ticket verkaufen. Er ist mir sympathisch, ein guter Verkäufer und ich wollte sowieso in einen Comedy Club gehen, deshalb schlage ich zu. Eine kurze Groupon-Suche beweist mir allerdings anschließend, wie dumm ich bin, denn ich habe den vierfachen Preis bezahlt, knapp 30 Dollar. Trottel, direkt in die erste Touristen-Falle gestolpert.


Broadway sign. picture: Christian Langer
Die längste Straße der Stadt, der Broadway.

Der Regen wird auf einmal apokalyptisch und ich hole mir einen Kaffee im McDonald‘s am Times Square. Mir gegenüber sitzt ein alter, südeuropäisch-aussehender Mann mit Halbglatze. Er hat einen dicken Schnurrbart, dazu viele Stoppeln und trägt ein weißes Unterhemd mit gelben Flecken, wahrscheinlich Senf. Vor ihm liegt ein gigantischer Burger aus dem das Fett und Käse trieft. Er öffnet seinen Rucksack, holt einen ganzen Leib Käse daraus, schneidet mit einem Taschenmesser ein großes Stück ab und erweitert damit die Kalorien- und Cholesterin-Bombe vor ihm. Sowas kann man sich nicht ausdenken. 'Murica.


Ein kurzer Blick auf meine New York Bucket List erinnert mich daran, dass ich unbedingt in ein Deli will. Diese oftmals jüdischen Imbiss-Restaurants sind weltberühmt, vor allem das "Katz Delikatessen". Hier wurde beispielsweise die Szene aus "Harry und Sally" gedreht, bei der Sally einen Orgasmus beim Essen vorspielt, was eine alte Dame dazu veranlässt, "das was sie hat" zu bestellen. Der Laden ist so alteingesessen und berühmt, dass die Wände mit Bildern von prominenten Besuchern zutapeziert sind. Ich bestelle den Klassiker, Roastbeef auf Roggenbrot, das mit eingelegten Gurken und scharfen Senf serviert wird. Ein Fleischberg liegt auf meinem Teller, den ich gerade so herunterbekomme und das auch nur deshalb, weil er hervorragend ist.



Ich bin immer noch müde vom langen Flug und gehe deshalb früh ins Bett. Die Stadt, die niemals schläft - heute schon. Bevor ich jedoch ins Bett komme, lerne ich im Aufenthaltsraum des Hostels noch die Australier Shane und Will kennen. Sie spielen gerade Billard und bieten mir ein Bierchen an. Ich mag Australier: Immer gut gelaunt und mit Alkohol ausgestattet.


Den nächsten Morgen beginne ich mit Burritos: Das kleine mexikanische Café am Eck bietet mir einen Frühstücks-Burrito samt Kaffee für fünf Dollar, da kann die Konkurrenz nicht mithalten. Leicht angewidert von meiner aufkommenden Liebe zu schlechtem Fast-Food mache ich mich wieder auf in die Stadt. Erster Stopp: World Trade Center.


Zu diesem Platz habe ich ein, naja, besonderes Verhältnis. Der Tag meiner Einschulung, der 11. September 2001, ist wie kein anderer mit New York verbunden, da damals die beiden Türme des World Trade Center von Terroristen eingerissen wurden. Da dies natürlich eine größere Bedeutung für die Weltgeschichte hat als der erste Schultag eines kleinen Jungens mit Zahnlücke und Fußball-Schultüte, beobachtete jeder gebannt die TV-Nachrichten, anstatt mich beim gemeinsamen Kaffee und Kuchen. Ich wollte den Ort sehen, der mich eine schöne Kindheitserinnerung, viel wichtiger jedoch, Tausende Menschen ihr Leben gekostet hat.



Die Nachfolge-Bauten sind imposant und architektonisch interessant, mehr faszinieren mich jedoch die Becken, auf deren Fläche bis zu eben jenem Tag die höchsten Türme der Stadt standen. Man wird schnell andächtig auf Grund der auf dem Rand eingravierten Namen der Opfer und ein Mann spielt auf der Trompete traurige Melodien. Angesichts des Trubels außen rum, die zahlreichen asiatischen Touristen-Gruppen und Ticket-Verkäufer etc., wirkt die Szenerie allerdings bizarr.


Ich gehe weiter, denn ich habe beschlossen mal wieder mehr meine Beine zu nutzen und nicht nur U-Bahn zu fahren, obwohl die Verlockung riesengroß ist. Schnell bin ich jedoch an der Wall Street angelangt, beobachte nervöse Broker bei der schnellen Zigarette und freue mich, dass sie noch nervöser werden, wenn man so tut, als würde man sie fotografieren. Ganz so, als ob du ganz genau wüsstest, mit welchen Spekulationen sie gerade ärmere Teile der Welt noch tiefer in ökonomische Probleme gestürzt haben. Sie sehen nicht genervt oder in der Privatsphäre verletzt aus, sondern ertappt. Gefällt mir. Es sind die kleinen Dinge im Leben, die einen glücklich machen.


Ich begebe mich weiter in den eigentlich von mir so ungeliebten Touri-Modus, sehe mir alte Gebäude mit historischer Bedeutung an, laufe an der Trinity Church vorbei und sehe mir Grabsteine aus dem 17. Jahrhundert an und stehe auf einmal vor dem bekannten „Charging Bull“. Touristenmassen stehen Schlange, um sich mit der Statue fotografieren zu lassen. Ich nicht. Die Leute wollen fotografiert werden? Ich fotografiere sie. Mein Lieblingsfoto ist das einer jungen Französin, die auf der Vorderseite keinen Platz bekam. Deswegen sitzt sie nun zwischen den Beinen auf der Rückseite und lässt sich mit den bronzenen Testikeln ablichten. Auch von mir, ungewollt.


Best.Day.Ever.

Ich würde gerne eine Pause machen, allerdings ist der nahegelegene Bowling Green Park, der älteste Park der Stadt, der auch den Anfang des Broadway markiert, zum Bersten mit Mittag machenden Anwohnern gefüllt und ich gehe weiter zum Battery Park. Dort wollen mir mindestens 8000 verschiedene Händler Tickets für eine Fährenfahrt zu Freiheitsstatue verkaufen. Diesmal falle ich jedoch nicht darauf herein und setze mich gemütlich mit meinem ersten Hot Dog des Aufenthalts auf eine Parkbank. Ich habe die Freiheitsstatue ganz gut im Blick und muss nicht extra hinfahren. Mir reicht’s vom klassischen Sightseeing.


Statue of Liberty. picture: Christian Langer
Der Eintritt in die freie Welt. Früher zumindest.

Ich schreibe mit Luka, der kleinen Schwester einer Freundin. Sie hat einen Musiker auf einem Konzert in München kennengelernt und reist nun mit diesem zusammen herum. Aktuell wohnt sie für ein paar Tage bei Freunden von ihm in New York und wir verabreden uns. Da sie in Brooklyn wohnt, nutze ich die Chance, die beste Aussicht auf die Skyline Manhattans zu sehen und laufe über die Brooklyn Bridge. Ein Schild „Brooklyn, how sweet it is!“ empfängt mich freundlich, Luka auch.



Wir haben beide unseren Fokus auf Essen gesetzt, davon gibt es reichlich in New York. Deshalb fahren wir direkt zum Broadway und holen uns wieder ein 1 Dollar-Slice Pizza. Direkt daneben findet sich das McGee’s Pub, das Vorbild für die Kulisse des „McLarens“ stand, also dem Pub, in dem Ted, Robin, Barney, Marshall und Lilly jeden Abend in der Serie „How I met your mother“ verbrachten.


Ich habe meinen Ausweis vergessen, kann keinen Alkohol trinken, Luka ist noch nicht 21. Außerdem ist es ein stinknormaler Irish Pub mit grünen Wänden, dunklen Möbeln und roten Polstern. Einziger Unterschied: Überhöhte Preise. Wir gehen weiter in den Central Park, beobachten Kinder beim Baseball spielen, ratschen und sehen uns einen kleinen Jahrmarkt vor Hochhauskulisse an.


Dann geht’s weiter zum angeblich besten Hot Dog der Stadt: „Grays Papaya“, das wurde mir von Janine auf Instagram empfohlen. Danke nochmal an dieser Stelle, die waren super! Ein kleiner kitschiger Laden einer wohl inzwischen größeren Kette. Ein wenig verranzt wirkt es und auf alt gemacht aber die Hot Dogs haben gute Wiener, im Gegensatz zu den zahlreichen kleinen Hot Dog Ständen, Sauerkraut und Relish.



Ich bestehe im Anschluss noch darauf, mir die Lokalspezialität Räucherlachsbagel zu holen, der zwar sehr teuer ist, aber durch Kapern und Orangen-Honig-Senf Soße perfekt aufgepimpt ist. Allerdings macht mein Magen schlapp und ich kann mich nur noch sehr langsam bewegen, denn ich bin kurz vorm Platzen. Wir verabschieden uns und ich entscheide mich, in Anbetracht der gastronomischen Umstände, dafür die U-Bahn zu nutzen und zurück zum Hostel zu fahren. Nachts um 11 habe ich jedoch doch wieder Hunger und hole mir einen der besten Salate, die ich jemals hatte. Für sieben Dollar ist er günstig und schmeckt fantastisch, das wäre in Manhattan eher nicht passiert.


Mein Zimmergenosse Dan aus Taiwan hat einige Jahre in New York als Physiotherapeut gearbeitet und startet nun selbst auf eine Weltreise. Er gibt mir einen Tipp für das beste geschmorte Schweinefleisch, das er je gegessen hat. Und wenn ein Taiwanese dir einen Restaurant-Tipp gibt, solltest du diesen auch nutzen. Also fahre ich vormittags gemeinsam mit Dan und einem weiteren Zimmernachbarn nach China Town.


Nachdem ich nun in China war, kann ich sagen, dass bis auf die Architektur, doch alles sehr authentisch wirkt: Alte, kleine Chinesinnen sitzen auf Bänken und quatschen, alles wuselt und die Schilder an den Häusern sind teilweise nur auf Mandarin geschrieben. Wir stehen knapp 20 Minuten an, um uns das Essen zu besorgen und ich muss sagen, im Nachhinein hätte ich auch zwei Stunden dafür gewartet! Dan verlässt uns, Timo, so heißt mein deutscher Begleiter, und ich, gehen einige Kilometer durch Little Italy, zum Flat Iron Building und dann zur High Line.


Die High Line ist ein Park. In mehreren Metern Höhe. Auf einer ehemaligen Bahnlinie. Ursprünglich war hier eine Zugstrecke, die Metzgereien im Meatpacker District mit Fleischwaren versorgte und da es häufig zu Unfällen kam, wurde eine überirdische Linie gebaut. Da irgendwann der Umstieg auf LKWs erfolgte und ansässige Unternehmen umsiedelten, wurde die Strecke unnütz und dem Verfall preisgegeben. Seit den frühen 2000ern wurde allerdings die Strecke zum Park umfunktioniert und gilt als einer der liebsten Entspannungsorte für New Yorker. Wir laufen die 2,33 Kilometer lange Strecke ab und teilen uns danach wieder auf.



Ich laufe nach Chelsea, da ich auf dem Weg eine im Hafenbecken gelegene Driving Range entdeckt habe. Die habe ich schon einmal bei GTA 4 gesehen, einem Computer Spiel. Ich schlage ein paar Bälle für übertrieben viel Gebühr, allerdings kann ich dies nur kurz tun: Es gibt ein automatisches Tee-System, heißt die Bälle fahren auf einem Gummi-Tee platziert aus dem Boden heraus. Ich habe das Schild „Bitte mit Eisen nur von der Matte abschlagen“ übersehen und zerstöre beim fünften Schlag (von knapp 200 möglichen) das Tee. Meine Ball-Karte wird einbehalten. „Fuck! Das wird teuer“, denke ich mir und mache mich schnell vom Acker. Gott sei Dank hat das niemand gesehen und ich bin innerhalb weniger Sekunden wieder von der Anlage verschwunden. 30 Dollar in den Sand gesetzt und Sachschaden verursacht.



Naja, dann doch wieder laufen. Ich gönne mir einen Kaffee, gratuliere meinem Vater per Whatsapp zum Vatertag und laufe. Und laufe. Und laufe. Und werde von einem Regenschauer überrascht. Genauer gesagt einem weiteren apokalyptischen Regenschauer.


Deshalb fahre ich zurück ins Hostel und gehe gemeinsam mit einigen Leuten in den Broadway Comedy Club. Kleiner Club, rote Backsteinwand, Witze über die erste Reihe und eine Aneinanderreihung von Vorurteilen über Weiße, Schwarze, Asiaten, Schwule und Frauen. So stellt man sich einen New Yorker Comedy Club vor. Die anderen gehen danach in eine Bar, ich habe mal wieder meinen Ausweis vergessen und beschließe, etwas zu essen. So kam die oben beschriebene Taco Bell Begegnung zu stande, nach der ich noch patschnass einen weiteren apokalyptischen Regenschauer auf dem Times Square ertrug.



New York ist schön, hässlich, laut, beschaulich, regnerisch, verrückt, imposant, hektisch, kulinarisch hochwertig, kulinarisch minderwertig, chinesisch, italienisch, amerikanisch und deutsch. Ein Schmelztiegel eben.





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